Zur Entstehungsgeschichte des Projekts am Isolde-Kurz-Gymnasium

 

Im Rahmen des Pilotprojekts Computeralgebra an der Schule, das seit 1993 in Baden-Württemberg läuft, haben wir am Isolde-Kurz-Gymnasium eine Reihe von Maple-Worksheets geschrieben, die auf unseren Mathematik-Seiten abgeholt werden können (MapleVR2, R3, R4). Fernziel war und ist ein Beitrag zur "Tele-Education", wie sie z.B. an der Simon Fraser Universität angeboten wird. Im Vordergrund stand zunächst die Integration von Computer Algebra Systemen in den mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterricht an Gymnasien. In parallel zum Projekt laufenden Fortbildungen zur 'Quantenphysik im gymnasialen Unterricht' entstand das Buch 'Moderne Physik mit Maple' (Komma, ITP-Bonn) mit der Zielsetzung einer Elementarisierung der Quantenphysik, die mit einem CAS in greifbare Reichweite gelangt ist. Die Elementarisierung der Quantenphysik für Schüler basiert letzten Endes auf der Möglichkeit, die Infinitesimalrechnung in Feynmanscher Art zu vermitteln: Lineare Approximation (oder Näherung in erster Ordnung - s.u.) und darauf baut ja gerade der Mathematikunterricht der gymnasialen Oberstufe auf. Also entstand aus dem Physikbuch ein Elektronisches Mathematikbuch, das inzwischen den Analysis-Unterricht fast vollständig abdeckt.

Neben den für unser Gymnasium spezifischen Aktivitäten wurde im CAS-Projekt bald klar: "Die bisherigen Unterrichtsversuche mit Computer-Algebra-Systemen zeigen, daß sich der Mathematikunterricht insbesondere in den Klassen 11 bis 13 stark verändern wird, wenn jede Schülerin und jeder Schüler über einen mobilen Computer ein Computer-Algebra-System einsetzen kann. Um Erfahrungswerte über solche Veränderungen zu bekommen, hat im Rahmen des Leitprojekts "Bildung vernetzt" das Teilprojekt "Mobiles Klassenzimmer" höchste Priorität erhalten. Die Landesregierung hat deshalb am 15. Januar 1996 das Kultusministerium beauftragt, das "Pilotprojekt Mobiles Klassenzimmer" durchzuführen. Das Projekt wird ab Schuljahr 1996/97 beginnend mit vier Klassen der Klassenstufe 11 durchgeführt. Die Ausstattung mit mobilen Computern soll den Schülerinnen und Schülern ermöglichen, in der Schule und zu Hause interaktiv Lernprogramme zu nutzen, im projektorientierten Unterricht arbeitsteilig Lösungen zu entwickeln, Unterrichtsmaterialien zu kommunizieren oder auch Online-Infodienste abzufragen." (Ministerium für Kultus und Sport, Baden-Württemberg - die vier Schulen sind das Helmholtz-Gymnasium in Karlsruhe, das Hans-Thoma-Gymnasium in Lörrach, das Gymnasium in der Taus in Backnang und das Isolde-Kurz-Gymnasium in Reutlingen.)

 

Zur erweiterten Aufgabenstellung am Isolde-Kurz-Gymnasium

Im Pilotprojekt werden also zwei Aufgabenstellungen bearbeitet: Die Weiterentwicklung der Mathematikdidaktik mit CAS und der Einsatz von multimedialen Lernumgebungen. Natürlich lassen sich diese Aufgabenstellungen nicht strikt trennen, weil ja die Weiterentwicklung der Didaktik auf den neuen Technologien aufbauen muß. Wie eine Diskussion aus den News zeigt, ist man sich aber in Deutschland noch längst nicht einig darüber, wie die Prioritäten zu setzen sind. Das Isolde-Kurz-Gymnasium wurde deshalb damit beauftragt, die Möglichkeiten der Neuen Technologien voll auszuloten, um sowohl in technischer wie auch in didaktischer Hinsicht eine Konzeption des Unterrichts zu finden, die auch noch in den ersten Jahren des nächsten Jahrtausends einigermaßen tragfähig ist.

Vor allem der frühe Einsatz des CAS Maple im laufenden Unterricht unserer Schule - also nicht nur in speziellen CAS-Kursen, sondern in Mathematik und Physik von Klasse 11 bis 13 - hat gezeigt, daß beim Einsatz des Computers als Hauptmedium (vgl. 5. Deutscher Multimedia Kongreß Mai '97) in erster Linie technische und logistische Probleme gelöst werden müssen. Eine Graphik (Folien aus einer Powerpoint-Präsentation) mag dies verdeutlichen: Die Säulenstruktur steht für Software (links) und Hardware (rechts). Bitte stellen Sie sich vor, daß die einzelnen Punkte der Reihe nach sichtbar gemacht werden, wie bei einem Dia-Vortrag. Wir beginnen mit CAS: 'Ein CAS ermöglicht...'. Und blenden dann das Notebook ein: Mit einem Notebook kann man...'. Nun haben wir die beiden Fundamente für unsere Säulen.

Was kann man auf diesen Fundamenten aufbauen? Natürlich wollen wir mit unserem CAS Mathematik betreiben, und zwar ... Dazu muß die Klasse auch Materialien austauschen können. Mit Disketten ist das sehr mühsam - und man hat ja auch noch PC's... Die Säulen Hard- und Software entpuppen sich als zwei Komponenten einer hochexplosiven Mischung. Vielleicht sollten wir die Darstellung ändern, um zu verdeutlichen, welche Bereiche von dem Big Bang der wissenschaftlich technischen Revolution im nächsten Jahrtausend flächendeckend erreicht werden.

Wir können aber auch an der Säulendarstellung ablesen, was noch alles bedacht werden muß, wenn man konsequent mit dem Computer unterrichten will - und das ist eine Menge.

Wenn man aber für einen reibungslosen Ablauf, für ein professionelles Dokumentenmanagement, gesorgt hat, dann läßt sich die Tafel durch den Bildschirm, das Buch durch das elektronische Buch und das Heft durch ein Notebook ersetzen. Aber wozu das Ganze? Der Computer als Selbstzweck? Nein! Dann könnten wir uns das alles sparen und den 'Computer-Freaks' ihre teuren und zeitraubenden Spielzeuge überlassen. Es geht aber nicht um den Ersatz der alten Medien, es geht um eine Bereicherung, die schon fast einer Vision gleichkommt. Wer nur einmal die Eigendynamik erlebt hat, die Mathematik mit einem CAS entwickelt, der verkündet nicht länger Leitideen ex cathedra, der weiß, daß ein CAS das ideale Werkzeug ist, um den Beziehungsreichtum der Mathematik wie in einem Netz zu erforschen - und das zu jeder Zeit und an jedem Ort, wenn man vernetzt ist: Wir stehen an der Schwelle zur Demokratisierung von Forschung und Lehre - mit den neuen Technologien werden aus Konsumenten Produzenten, das ist die Vision. Aber frei nach Albrecht Kunkel (Chefredakteur Spektrum der Wissenschaft, Mai 1997) gibt es auch eine Realität: "Politik in Bund und Ländern wie auch die Wirtschaft gefährden schon seit längerem durch kurzsichtige Entscheidungen und Sparmaßnahmen das im Grunde noch überaus leistungsfähige Gesamtgefüge von universitärer und außeruniversitärer Forschung; zukunftssichernde anwendungsbezogene Entwicklungen unterbleiben oder werden nicht genutzt, und der begabte Nachwuchs findet immer weniger Möglichkeiten der kreativen Entfaltung". Wir sind also in mehrfacher Hinsicht gefordert, die Innovationen voranzubringen, und deshalb hat das Ministerium für Kultus und Sport BW den Durchführenden des Projekts größtmögliche Freiheiten mit auf den Weg gegeben, damit alle Variationsmöglichkeiten der Mathematikdidaktik von morgen ausgeschöpft werden können. Aber auch die Initiative Schulen ans Netz fördert unser Infrastrukturprojekt. Nach den ersten mühsamen Schritten sind wir nun auf dem besten Weg, unsere technischen und didaktischen Konzeptionen zu verwirklichen. Natürlich werden wir dabei auch kräftig von der Elternschaft an unserer Schule unterstützt. Und... von den Schülern selbst! Wie sonst wäre es ein virtuelles Klassenzimmer aufzubauen?

Und diese Schülerinnen und Schüler haben eine einfache und wirkungsvolle didaktische Konzeption: Sie erforschen die Mathematik mit Maple und stellen die Ergebnisse ins WWW, kurz: MMM@WWW! Die Themen ihrer Forschung werden im Unterricht erst dann ausführlich behandelt, wenn ihre Referate vorliegen.