Brechungsindex und Lichtstreuung

Ergänzungen zu "Warum bewegt sich Licht im Medium langsamer als im Vakuum?

Die Ausbreitung von Licht (oder allgemeiner elektromagnetischer Strahlung) in einem Medium ist ein schier unerschöpfliches Thema, wenn man alle möglichen Effekte in Betracht zieht. In diesem Artikel geht es in erster Linie um die Ausbreitung von Licht in durchsichtigen (transparenten) Medien (Luft, Wasser, Glas) und die Fragestellung, ob sich die Verringerung der Phasengeschwindigkeit von Licht durch eine Streuung der Lichtteilchen (Photonen) an Streuzentren (Atome, Moleküle,...) erklären lässt.

Zunächst sind ein paar Begriffsklärungen angebracht:

Wann ist ein Medium transparent?
Wenn das Licht weder absorbiert noch gestreut wird und auch keine Lumineszenz (Fluoreszenz und Phosphoreszenz) auftritt. Bei der Absorption wird die Lichtenergie an das Medium abgegeben, ist also nicht mehr als elektromagnetische Energie vorhanden. Bei der Streuung ändert das Licht seine Richtung ohne seine Energie (Frequenz) zu ändern, die Energie fehlt also im durchgehenden Licht (in der ursprünglichen Richtung). Bei der Lumineszenz wird Licht absorbiert und (meist) mit anderer Frequenz und in andere Richtung wieder emittiert. Absorption und Lumineszenz sind Resonanzeffekte, d.h., die Frequenz des Lichtes (die Energie der Photonen) muss zu den Resonatoren (Atome, Moleküle) "passen" (mehr oder weniger). Streuung findet bei allen Energien statt (mehr oder weniger).

Warum sind manche Stoffe manchmal transparent und manchmal nicht?
Die Beispiele Wasserdampf über dem Kochtopf und "Wasserdampf" in einer weißen Wolke oder der Ölfleck auf dem Papier zeigen, dass es nicht allein auf den Stoff ankommt, sondern auch auf seine Struktur.

Gibt es das perfekt durchsichtige Medium?
Im Prinzip oder in der Theorie ja - in der Praxis nein!
Perfekt durchsichtig ist nur das Vakuum. Das Vakuum ist homogen (wenn man von Vakuumfluktuationen absieht :-) und kann deshalb eine Lichtwelle nur "vorwärts streuen". Der Begriff "Vorwärtsstreuung" ist hier etwas irreführend (aber gebräuchlich), weil in Wirklichkeit nichts gestreut wird (seine Richtung im Streuzentrum ändert): Das Huygenssche Prinzip "Jeder Punkt einer Wellenfront kann als Zentrum einer Elementarwelle aufgefasst werden..." gilt uneingeschränkt, d.h., das Vakuum als Überträger reproduziert jede Welle perfekt. Aus Sicht der klassischen Elektrodynamik könnte man das Vakuum auch über seine perfekte Übertragungsfunktion definieren. Dass die Wellen nur "vorwärts laufen" (genauer in Richtung der Strahlen laufen) gehört auch zu dieser Übertragungsfunktion (oder Huygens Prinzip), denn in alle andere Richtungen löschen sie sich aus, siehe auch " Form aus Kohärenz". Weil die Elementarzentren unendlich dicht liegen und immer die "richtige Phase" haben, ist im Vakuum auch die Kohärenz garantiert: die neue Wellenfront ist die Einhüllende der Elementarwellen.
Wohlgemerkt: das gilt auch für Photonen.

Was unterscheidet ein reales (transparentes) Medium vom Vakuum?
Zusätzlich zu den perfekten Elementarzentren des Vakuums gibt es reale Streuzentren. Das bewirkt zweierlei:

1. Wenn das Medium vollständig homogen ist (Kristall): Die Superposition der "Streuwellen" mit den "Vakuumwellen" bewirkt eine Phasenverschiebung der resultierenden Lichtwelle. Das ist der "Ursprung des Brechungsindex"! Dabei "streut" ein idealer Kristall das Licht immer "vorwärts": Wenn die Dichte der Streuzentren wesentlich kleiner ist als die Wellenlänge des Lichts (z.B. Atomabstand = 1/1000 Lichtwellenlänge), gibt es auch in einem realen Medium nur das Interferenzmaximum nullter Ordnung, selbst für einzelne Photonen!

2. Wenn das Medium nicht perfekt homogen ist, kommt zur Phasenänderung noch eine Richtungsänderung der Lichtwelle hinzu, weil außerhalb der "Vorwärtsstreuung" nicht mehr alle Streuwellen destruktiv interferieren, also die Kohärenz verloren geht. Nun scheint ja Wasserdampf ziemlich homogen zu sein. Aber es kommt auf die Größenordnung im Vergleich zur Lichtwellenlänge an. Bei (teilweise) kondensiertem Wasserdampf ist die Ausdehnung der Streuzentren nicht mehr kleiner als die Lichtwellenlänge. Umgekehrt ist Glas (oder ölgetränktes Papier) noch homogen genug, um (teilweise) transparent zu sein. (Boshafte Fragen: Warum ist dann Holz für Röntgenstrahlung durchsichtig und die Ionosphäre für Radiostrahlung undurchsichtig?)

Nun zu der Behauptung, dass das Licht in einem transparenten Medium "gebremst" wird, weil "die Photonen in den Atomen des Mediums kurz anhalten".

Hier ist ein relativ aktuelles Zitat (Spektrum der Wissenschaft 2/2012):

"Auch wenn man Licht nicht als Welle auffasst, sondern als Teilchenstrahlung, lässt sich die Veränderlichkeit der Phasengeschwindigkeit in einem Medium verstehen. Die Atome absorbieren die Photonen, werden dadurch angeregt und strahlen ihrerseits wieder Photonen aus, dies allerdings zeitversetzt, was einer Verzögerung entspricht."

Oder:

"Im quantenmechanischen Bild sind die Valenzelektronen über die Coulomb-Kraft an den Atomrumpf gebunden. Die einfallende Lichtwelle führt nun zu einer elektrischen Kraft die die Valenzelektronen auslenkt und diese in einen angeregten Zustand bringt. Auf Grund der Energieerhaltung muss dazu das Photon vernichtet werden. Da der angeregte Zustand in einem transparenten Medium kein Energieniveau des Materials ist (weit entfernt von einer Resonanz), fällt das Atom annähernd instantan wieder zurück in seinen Grundzustand und sendet dabei ein Photon aus; auf Grund der Energieerhaltung bei derselben Frequenz wie das, welches vernichtet wurde."

Dazu ist zu sagen:

Sowohl die klassische Beschreibung als auch die quantenmechanische verwenden das Lorentz-Modell, in dem das Coulombpotential durch das Potential des harmonischen Oszillators ersetzt wird. Bei der klassischen Beschreibung ist dabei die Auslenkung des Elektrons frequenzabhängig (Lorentzlinie). Die quantenmechanische Beschreibung macht weder über die 'Auslenkung eines Elektrons' noch über den zeitlichen Ablauf des Vorgangs eine Aussage, sondern nur über Wahrscheinlichkeiten (Streuquerschnitte). Die Aussage 'fällt das Atom annähernd instantan wieder zurück in seinen Grundzustand und sendet dabei ein Photon aus' macht also keinen Sinn. Wie lange dauert 'annähernd instantan' z.B. beim Durchgang von Licht durch Luft? Etwas ernsthafter und in groben Zügen:

Bei der quantentheoretischen Herleitung der Dispersionsformel (genauer des Streuquerschnitts) wird der Hamiltonoperator für die Wechselwirkung der Strahlung mit dem Elektron in zwei Anteile zerlegt: Erste Ordnung (linear im Vektorpotential A) und zweite Ordnung (quadratisch in A). Der Term zweiter Ordnung ist dispersionsfrei (Thomsonstreuung, 'Resonanzfrequenz' des freien Elektrons gleich 0). Beim Term erster Ordnung muss über alle Zwischenzustände (bis ins Kontinuum) summiert werden. Dabei handelt es sich um virtuelle Zwischenzustände ohne Energieerhaltung. Aber es kommt noch schlimmer: Bei der Summation über die Zwischenzustände müssen auch Zustände berücksichtigt werden, in denen das 'emittierte' Photon schon im Anfangszustand vorhanden ist und das 'ankommende' Photon erst beim Übergang in den Endzustand absorbiert wird. Selbst wenn man die Reihenfolge, in der die Operatoren der Quantenmechanik angewendet werden, mit einer zeitlichen Abfolge verwechselt, mittelt sich 'annähernd instantan' also heraus zu einer 'simultanen Absorption und Emission'.

Wer es nicht glaubt, kann rückwärts rechnen: Wenn man die naive Annahme macht, dass jedes Photon geradlinig von Atom zu Atom fliegt, bleibt zwar ungeklärt, weshalb das so ist, und der Brechungsindex müsste zur Teilchendichte bezogen auf die Länge proportional sein und nicht zur Teilchendichte bezogen auf das Volumen. Ignoriert man diese grundlegenden Probleme, dann ergibt sich z.B. für Luft (n = 1,0003) annähernd instantan = 10^(-21)sec und für Wasser (n = 1,3) annähernd instantan = 10^(-19)sec. Die zugehörigen Emissionsprozesse hätten also eine Linienbreite von der Größenordnung 10^20Hz, was um fünf Größenordnungen über der Frequenz von sichtbarem Licht liegt!

"Die Veränderlichkeit der Phasengeschwindigkeit" lässt sich grundsätzlich nicht im Teilchenbild erklären: Je genauer die Photonenzahl in einem Strahl (Zustand) bekannt ist, desto unbestimmter ist die Phase des zugehörigen elektromagnetischen Feldes. Ganz abgesehen davon, dass "Teilchenstrahlen" nicht interferieren...

Und die Moral von der Geschicht? Auch annähernd instantane Quantensprünge gibt es nicht!

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