Der atomare Dipol
Dixitque Deus fiat lux et facta est lux.
Wenn man nach dem "atomaren Dipol" im Internet sucht, findet man z.B. bei Wikipedia folgende Bilder und Bildunterschriften: 1. Lorentz Oszillator: Das Bild suggeriert, dass eine positive Ladung wie eine Masse in Federn eingehängt ist, die irgendwo auf den x-, y-, z-Achsen befestigt sind. Aber es handelt sich nur um eine "Analogie", mit der gemeint ist, dass (punktförmige?) Elektronen irgendwo auf den Achsen mit Federn an den Atomkern (+) gebunden sind. Dabei steht "Feder" für "lineare Rückstellkraft", bzw. für "quadratisches Potential", also eine harmonische Schwingung. 2. Thomsonsches Atommodell: Nun befinden sich
die Elektronen vor einem "positiven Hintergrund" (rot). Der Atom"kern"
ist in diesem Modell eine positiv geladene Kugel mit konstanter Ladungsdichte,
was tatsächlich zu eine lineare Rückstellkraft zur Folge hat. 3. Dielektrikum: Nun wird der "punktförmige" Atomkern durch eine externe Kraft aus der Elektronenhülle (rot) herausgezogen, wobei er anscheinend den negativen Ladungsschwerpunkt mitnimmt. Wird er harmonisch schwingen, wenn man die externe Kraft abschaltet? Warum ist die harmonische Schwingung so "wichtig"? Darauf gibt es eine einfache Antwort: man kann sie mathematisch leicht beschreiben, nicht nur in der Mechanik (Federpendel) oder in der Elektrizitätslehre (Schwingkreis, Dipolantenne), sondern auch in der Quantenmechanik. Dort heißt es dann "Übergangsdipolmoment": Also wenn das Elektron sogar quantenmechanisch harmonisch schwingt, dann muss das Modell doch stimmen! Das Problem ist nur, dass sich das Elektron im Atom nicht in einem quadratischen Potential befindet, sondern in einem 1/r-Potential, bzw. es gilt nicht Kraft ~ r, sondern Kraft ~1/r2. Die folgenden Visualisierungen sind alle in atomaren Einheiten gerechnet (man lässt einfach alle SI-Einheiten weg bzw. setzt alle Naturkonstanten = 1, siehe auch Anmerkungen zu atomaren Einheiten), Abszisse x = "orientierter Abstand". Wir betrachten zunächst die freie Schwingung. Freie Schwingung
Weshalb "funktioniert" dann das
Druse-Lorentz-Modell? Weil man es bisher noch nicht hinterfragt hat? Nein, diese
Antwort wäre zu banal. Die Dispersionstheorie "funktioniert" in erster Linie
(bzw. erster Näherung), weil sie eine erzwungene Schwingung weit ab von
einer Resonanzfrequenz beschreibt, es also gar nicht darauf ankommt, ob der
harmonisch angeregte Oszillator auch von selbst harmonisch schwingen würde oder
nicht. Erzwungene Schwingung An Federn aufgehängte Elektronen sind also ein fragwürdiges Modell. Wie ein atomarer Dipol entsteht (induziert wird), kann man sich besser so veranschaulichen: Dem Coulombpotential des Kerns wird (im einfachsten Fall) ein lineares Potential (homogenes E-Feld) überlagert. Wenn das Feld harmonisch schwingt,
schwingt auch der "obere Rand des Potentialtrichters" harmonisch. Dabei entsteht ein Hochpunkt (2D), bzw. Sattelpunkt (3D), was zur Folge hat, dass das Elektron nicht nur schwingt, sondern den Kern auch unterhalb der Ionisationsschwelle verlassen kann, je nach Niveau auch durch Tunneln. In einem fiktiven Parabelpotential
macht sich das "äußere Feld" praktisch nur durch eine Verschiebung der Parabel "zur Seite" (radial) bemerkbar. Auch bei beliebig hoher Feldstärke könnte das Atom nicht ionisiert werden, es sei denn, die Feder, mit der das Elektron an den Kern gebunden ist, reißt, bzw. der "Parabelbecher" ist oben abgeschnitten. Das wäre doch ein echter Quantensprung :-)). Quantenmechanisch Wie wird die "Auslenkung eines Elektrons aus der Ruhelage" in der QM beschrieben bzw. berechnet? Wenn es sich um eine statische Kraft handelt, geht das mit dem Stark-Effekt: Stark-Effekt Die Frage nach einer Federkonstante und einer externen Kraft auf ein (ruhendes) punktförmiges Teilchen, muss nun lauten: "Wie wird eine "Elektronenwolke", die sich im Coulombfeld des positiv geladenen Kerns befindet, durch ein homogenes elektrisches Feld verschoben?". Dabei stellt sich heraus, dass die "Elektronenwolke" auch deformiert wird, und zwar durch die Überlagerung verschiedener Zustände des Elektrons! So ist nun einmal die QM gebaut: die Änderung eines Zustands (und damit eine "Bewegung") ist mathematisch nur möglich, wenn sich die Superposition (die Koeffizienten der Basiszustände) ändert. Die einfachste Variante wäre eine Überlagerung des Grundzustands mit dem ersten angeregten Zustand. Will man es etwas genauer wissen, kann man in Störungsrechnung 1. Ordnung, auch höhere Zustände berücksichtigen:
Darin sind die |ψ〉 die H-Wellenfunktionen. Im folgenden sind für das H-Atom die Betragsquadrate der
Superpositionszustände
Änderung mit dem Störparameter, wenn man alle Zustände bis n=6 berücksichtigt. Links: von 0 bis 0.5 im Sekundentakt, rechts sinusförmig mit der Amplitude 0.5.
Die erzwungene Schwingung lässt sich also auch quantenmechanisch beschreiben, obwohl das Elektron sicher nicht an einer Feder hängt! Übergangsdipolmoment Und es kommt noch ein Problem hinzu: "Die Elektronenhülle" hat
eine Struktur, die sich quantenmechanisch berechnen lässt. Wenn ein Hertzscher Dipol schwingt (natürlich harmonisch), sieht die Ladungsverteilung so aus:
Wenn ein atomarer Dipol frei schwingt, geht das
Atom von einem höheren Zustand unter Abgabe von Energie (eines Photons) zu einem
niedrigeren Zustand über. Die folgenden Animationen zeigen die Ladungsverteilung
("das Elektron")
für den Übergang (2,1,0) -> (1,0,0) (links) im Vergleich zur Ladungsverteilung
des Hertzschen Dipols (rechts):
In der linken Spalte ist wie oben (Stark Effekt) nur die Ladungsverteilung des
(einen) Elektrons dargestellt, von 0 (blau) bis "maximal" (rot). In der rechten
Spalte bedeutet rot "negativ geladen" und blau "positiv geladen" (der lineare
Hertzsche Dipol wurde nur zur 3D-Visualisierung verbreitert). Während beim
atomaren Dipol also das Zentrum immer positiv geladen ist, ist es beim
Hertzschen Dipol immer neutral (grün). Auch wenn man nur mit
"Ladungsschwerpunkten" rechnet, sind also die gängigen Modelle vom "elastisch
gebundenen Elektron" bis zum "gedämpften harmonischen Oszillator" bestenfalls
eine Näherung nullter Ordnung, und man muss sich fragen, weshalb diese
klassischen Analogien bis heute selbst in der "professionellen Quantenphysik"
fester Bestandteil der "Theorie" sind, wie z.B. die
Weisskopf-Wigner-Theorie. Reduzierung auf 1D: Zum Vergleich mit einer Stabantenne, kann man obige Darstellungen der Ladungsdichte des Elektrons auch senkrecht zur Dipolachse integrieren. Das ergibt die folgenden "Randverteilungen" (links der vollständige Übergang, rechts eine Zeitlupe symmetrisch zur Zeit 0, also dem "Moment des Quantensprungs" :):
Dabei fällt auf, dass das Elektron im Coulombfeld ganz anders schwingt, als im harmonischen Oszillator der Quantenmechanik. Reduzierung auf 0D: Wenn man das Modell unbedingt noch weiter vereinfachen (oder idealisieren?) will, kann man es so auf den Punkt bringen, indem man den "Ladungsschwerpunkt" der 1D-Verteilung berechnet und als Funktion der Zeit darstellt:
Vereinfachungen haben aber auch eine gute Seite, bzw. Kontrollfunktion:
Aber natürlich gehört zu einem schwingenden atomaren Dipol auch ein Strom
Siehe auch Elektrofluid Anmerkung zu atomaren Einheiten (SI-Zahlenwerte gerundet auf zwei Stellen): Und Kretschmann sprach: Das Modell stimmt. Und was wir machen, wenn es nicht stimmt, sehen wir, wenn es nicht stimmt. Das stimmt immer! Et vidit Deus lucem quod esset bona et divisit lucem ac tenebras. © September 2022, Dr. Michael Komma (VGWORT) Links: Der harmonische Oszillator, quantenmechanisch | Kohärente Zustände | Das Märchen vom harmonischen Oszillator im Schwerefeld | Spontane Emission | Kaskade | Photogalerie | Photonenemission | Weisskopf-Wigner | Elektrofluid | Bremsstrahlung - Feldlinien Moderne Physik mit MapleHOME | Fächer | Physik | Elektrizität | Optik | Atomphysik | Quantenphysik | Top |