Ensemble - Individuum
Will man den Schulunterricht zum radioaktiven Zerfall etwas unterhaltsamer gestalten, so schenkt man gerne ein Glas Weizenbier mit möglichst viel Schaum ein, und lässt Schüler die Höhe des Schaums in Abhängigkeit von der Zeit messen. Das klappt erstaunlich gut, weil (so die gängige Erklärung) für jedes Bläschen (Individuum) die Wahrscheinlichkeit, in der nächsten Sekunde zu zerplatzen, gleich groß ist. Also muss die Höhe des Schaums (des Ensembles) exponentiell abnehmen. Lässt sich diese Analogie auch auf die spontane Emission eines Photons übertragen? Lange Zeit schien es so. Und die bis heute gängige Theorie (Weisskopf-Wigner, kurz WeWi) wird trotz ihrer inneren Widersprüche nicht weiter hinterfragt, obwohl es inzwischen Experimente gibt, die den Übergang eines einzelnen Atoms (Individuums) zeitlich auflösen können. Der fundamentale Widerspruch der
gängigen Theorie besteht darin, dass man einerseits von einem "Quantensprung" (oder
"Zerplatzen") des Atoms ausgeht, was eine unendlich
große Linienbreite zur Folge hätte (die Fouriertransformierte der Deltafunktion ist
die Konstante 1). Wir halten fest: Die spontane Emission eines Photons durch ein Atom wird bis heute mit zwei sich widersprechenden Modellen erklärt.
In der Regel wird
diese "Vereinheitlichung der sich widersprechenden Modelle" damit belegt, dass
man die deterministische SGL und atomare Dipolmomente (Oszillatorstärken)
verwendet, um die Zerfallswahrscheinlichkeit (Einstein A-Koeffizient) zu berechnen (WeWi-Theorie). Und weil man dabei nur das klassische Dipolmoment durch das quantenmechanische zu ersetzen hat, scheint alles in Ordnung zu sein. Wie sieht ein Modell aus, das diese Widersprüche vermeidet? Wir gehen im Folgenden davon aus, dass das Ensemble immer exponentiell zerfällt (Zerfallskonstante g0), was statistisch gesehen immer richtig ist, so lange die Zerfallskonstante für alle Individuen im Mittel gleich ist. Für den Zerfall des Individuuums halten wir uns aber sowohl die Art des Übergangs (exponentiell oder beliebig), als auch die Dauer bzw. die Zerfallskonstante (g) offen. Wenn man versucht, den Zerfall eines Ensembles über die Feldstärke (oder Intensität) der emittierten Strahlung (Photonen) zu messen, so kann man das etwa so modellieren: a) Der Zeitpunkt des Zerfalls eines Individuums ist exponential verteilt (Zerfallskonstante g0). b) Das Individuum zerfällt mit der Zerfallskonstante g (und beliebigem "Zerfallsgesetz"). c) Ein geeigneter Detektor registriert die "Summe der Einhüllenden" (kohärent oder inkohärent). Hier ist ein Beispiel
In dieser Simulation wurden 1000 Zerfälle eines Ensembles exponential-verteilt mit der Zerfallskonstanten g0 = 0.2 [1/Zeiteinheit] ausgelost. Die Zeitpunkte des Zerfalls sind mit roten Strichen markiert (vgl. Photonenstatistik und Zeitreihen). Das einzelne Atom zerfällt exponentiell mit g = 2 (also 10 mal schneller als das Ensemble). Die Kurven zeigen die resultierende Amplitude der Strahlung (es genügt, die Einhüllenden zu addieren). Die beiden Ausschnitte darunter zeigen für 0<t<3 [Zeiteinheiten], dass für g=2 die resultierende Zerfallskurve nicht mit dem Maximum beginnt. Für 20<t werden die "Wellenzüge einzelner Photonen" sichtbar (rein rechnerisch :). Der Übergang von g=0.2 zu g=2 lässt sich in einer Animation veranschaulichen (g0=0.2):
Aber dass die Strahlung eines Atoms beim spontanen Übergang exponentiell abklingt, ist wie gesagt ja nur eine 90 Jahre alte ad hoc Annahme, die in sich widersprüchlich ist. Wie in "Über die spontane Emission von Photonen" gezeigt (und durch das Minev-Experiment belegt), gibt eine Sech-Kurve den zeitlichen Verlauf der spontanen Emission wohl besser wieder. Zur Orientierung deshalb zunächst ein Vergleich der "Zerfallskurven" (Amplitude des Photons) und Linien, ergänzt durch Gausskurven.
Sech-Photonen Wie sieht nun d er Zerfall des Ensembles aus, wenn der atomare Übergang nicht klassisch (exponentiell abklingend), sondern neoklassisch (Sech-Puls) vor sich geht?
Auch hierzu eine Animation:
Man beachte: physikalisch sinnvolle Vorgänge beginnen nicht schlagartig "zur Zeit t=0". Die Faltung mit (physikalisch sinnvollen) Sech-Photonen zeigt, dass es immer eine Vorgeschichte (t<0) geben muss. Die zugehörigen Linienprofile im Vergleich Für obige Faltungen erhält man für exp-Photonen eine Lorentzlinie (blau) und für Sech-Photonen eine Sech-Linie (rot). Die Animation läuft von g=0.2 (2 Sekunden angehalten) bis 2 (2 Sekunden angehalten). Die grüne Kurve zeigt den Grenzwert für g -> ∞, also "Quantensprünge" (egal mit welcher Verteilung :).
Die Zahl der Individuen wurde von N=1000
(wie bisher) auf N=100 reduziert, weil erst dann Strukturen der Linien (z.B.
Satelliten) sichtbar werden, die auf den diskreten Charakter der
Strahlungsemission hinweisen. Für N=1000 befindet man sich bei den gewählten
Parametern schon "im Kontinuum" (Summe -> Integral) und erhält die glatten
Kurven der Fouriertransformierten bzw. Faltungen. Kohärent - inkohärent? Bisher wurden die Amplituden (Einhüllenden der Feldstärke der
Strahlung) summiert. Was passiert, wenn man ihre Quadrate summiert?
Die Animation wurde mit neuen Zufallszahlen erzeugt und läuft für g= 0.05 .. 1. Die Sech-Linien (rot) werden nicht wesentlich breiter. Die Lorentzlinie (blau) wird für inkohärentes Aufsummieren wesentlich breiter! Und das ist auch vernünftig: - Durch Kohärenz wird die Linie schmaler, wenn die Zerfallskonstante des Individuums größer ist als die des Ensembles. Die Wellenzüge werden aneinander gehängt (kürzerer Abstand)
-
"Fabry-Perrot-Effekt". Natürlich
ist
"teilweise kohärent" der Regelfall, und neben der longitudinalen Kohärenz gibt es noch transversale Kohärenz und Polarisation,
u.a.m. Und nun? Die beiden sich widersprechenden Annahmen, mit denen seit 90
Jahren die spontane Emission beschrieben wird, nämlich, dass
Der Zufall (oder das Ensemble) kommt - rein mathematisch - so ins Spiel: Die tanh-Kurve ist "fast überall konstant", wie man diesen Zahlen entnehmen kann (-10 ≤ t ≤ 10, mit konstanter Schrittweite):
D.h., ein Atom kann sich "im Prinzip beliebig lange" im angeregten (sog. stationären) Zustand befinden, aber wenn es dem "Kipppunkt" zu nahe kommt, kann der Übergang sehr schnell ablaufen. Alles kontinuierlich und deterministisch. Der "absolut objektive Zufall der Quantenphysik" ist nicht zufälliger als die Vorgeschichte des Atoms mitsamt seiner Umgebung - also des Universums. Denn: Ein Atom befindet sich nicht von selbst in einem (stationären) Zustand, sondern es wird dort hin gebracht - mehr oder weniger genau. Dabei spielt nicht nur die Energie (Frequenz) eine Rolle, sondern auch Impuls, Polarisation, Strahlungscharakteristik, Spin, usw., also auch gerichtete Größen. Man beschreibt das gerne mit sog. "Auswahlregeln" oder gar "verbotenen Übergängen". Aber Auswahlregeln sind nur eine Richtschnur für den Physiker und nicht für das Atom. Und "das Dipolmoment des Atoms" (Erwartungswert des Maximums) ist auch nur eine Richtgröße für die Beschreibung eines Atoms, das sich sicher nicht an (Bohrs) Verbote hält! Anstatt den Atomen und Photonen Vorschriften zu machen, sollte man die Atom-Photon-Wechselwirkung vielleicht besser so beschreiben: Je weniger das anregende Photon zum absorbierenden Atom passt, desto schneller findet die nachfolgende "spontane Emission" statt. Dazu braucht man gar kein Vakuum! Aber wenn man es doch mit Vakuum erklären will, geht das auch: Bei nicht perfekter Anregung genügen kleine Vakuumschwankungen, um auf der Zeitskala nahe an den "Kipppunkt" zu kommen. Siehe auch "Das Atom-Motel". Der Widerspruch verschwindet also, wenn man das einzelne Atom nicht mit dem Ensemble gleichsetzt, sondern ihm "erlaubt", seinen eigenen Übergang zu machen. Wie dieser Übergang abläuft, ist charakteristisch für das Atom. Wann er stattfindet, hängt außerdem von der Vorgeschichte, also der Umgebung ab - rein zufällig. In der Realität gibt es kein Ensemble, dessen Mitglieder sich alle exakt gleich präparieren lassen, schon gar nicht in "reinen Zuständen". Zum Schluss noch eine amüsante Geschichte aus dem Jahr 1906. Man hatte zu dieser Zeit Atome als Sender von Wellenzügen konstanter Amplitude, die durch Stöße unterbrochen werden können, modelliert. Zu einem Zeitfenster gehört eine Sinc-Linie, deren Breite umgekehrt proportional zur Dauer der Emission ist. Gewichtet man diese Sinc-Linien mit einer exponential verteilten Dauer der "Sendezeit" [Lorentz 1906], so ergibt sich für die Stoßverbreiterung eine Lorentzlinie. © Juli 2020, Dr. Michael Komma (VGWORT) Links: Spontane Emission | Kaskade | Photogalerie | Photonenemission | Weisskopf-Wigner | Minev Quantum Jump | Superradianz Moderne Physik mit MapleHOME | Fächer | Physik | Elektrizität | Optik | Atomphysik | Quantenphysik | Top |