Nicht aufgelöste Quantensprünge

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In den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts hat man gelernt, mit einzelnen Atomen und Ionen zu experimentieren (nicht nur damals höchste Experimentierkunst! -> Paul-Falle) und hat etwa folgende Signale der Resonanzfluoreszenz aufgenommen (Prinzipskizze):

Aus den scheinbar sprunghaften Änderungen des Signals (symbolisiert durch die senkrechten Geradenstücke) schloss man auf den direkten Nachweis von "Quantensprüngen" eines einzelnen Atoms (Ions). Eine sehr mutige Extrapolation bei etwa 10 "Quantensprüngen" in 100 Sekunden! Abgesehen davon, dass es nicht nur experimentell sondern auch theoretisch unmöglich ist, eine Zeitmessung mit unendlich hoher Genauigkeit zu machen (ein Sprung dauert nun einmal nur 0.0 Sekunden und das ist zu scharf für die Energie-Zeit-Unschärferelation, weil dann die Energie der nachgewiesenen Photonen beliebige Werte annehmen müsste): Die Schwingungsdauer von Licht ist etwa eine Femptosekunde. Wenn man "Quantensprünge" vernünftig auflösen will,  muss man mit einer Auflösung von Attosekunden arbeiten, was auch in modernen Experimenten geschieht. Dennoch sind die Experimente der "ersten Generation" sehr interessant:

Wie funktionieren diese Experimente?

Man nimmt sich ein Atom mit V-Konfiguration. Vom "Grundzustand" S gibt es einen starken Dipolübergang zum P-Zustand (kurze Lebensdauer), der in Resonanzfluoreszenz beobachtet wird und obiges Signal erzeugt. Wäre dies der einzige Übergang, so würde man eine in etwa konstante Zählrate der Photonen (in obiger Darstellung 1000/sec) beobachten.

Daneben gibt es aber auch noch einen schwachen Quadrupolübergang von S nach D (lange Lebensdauer). Durch Einstrahlung passender Photonen kann man diesen Übergang induzieren und das Elektron im Zustand D für längere Zeit parken (-> Dehmelt, "shelved electron"). Natürlich erlischt dann das Fluoreszenzsignal (Dunkelphasen) und setzt erst wieder ein, wenn das Elektron von D nach S zurückkehrt. Und weil das in obigem Zeitmaßstab (Sekunden) wie ein Sprung aussieht, schloss man wohl etwas voreilig auf den experimentellen Nachweis von "Quantensprüngen", die "sich instantan (also mit einer Dauer von 0.0sec) ereignen".

Was spielt sich tatsächlich ab?

Alle Animationen wurden mit der zeitabhängigen Schrödingergleichung berechnet (H-Atom):

Der Übergang vom kugelsymmetrischen S-Zustand zur Dipolverteilung P sieht so aus (nebenstehende Animation). Die 100 Bilder des Films wurden dabei mit einem extremen Zeitraffer berechnet: In Wirklichkeit macht das Atom weit über 10^15 Schwingungen, wenn es von S nach P übergeht. Dabei ändert sich das Gewicht des Grundzustandes von 1 nach 0 (laufende Zahlen). (Durch die Wiederholung des Films scheint das Atom in den Grundzustand zurückzuspringen - aber keine Sorge, das hat noch niemand beobachtet ;-))

Der aufmerksame Beobachter stellt fest, dass die Kugelsymmetrie der S-Verteilung recht schnell verschwindet: Es genügt schon eine kleine Beimischung (<< 1%) des P-Zustandes.

Der Übergang vom kugelsymmetrischen S-Zustand zur Quadrupolverteilung D sieht so aus (nebenstehende Animation). Die 100 Bilder des Films wurden dabei mit einem extremen Zeitraffer berechnet: In Wirklichkeit macht das Atom weit über 10^15 Schwingungen, wenn es von S nach D übergeht (deshalb laufen Atomuhren auch so genau ;-)). Dabei ändert sich das Gewicht des Grundzustandes von 1 nach 0 (laufende Zahlen). (Durch die Wiederholung des Films scheint das Atom in den Grundzustand zurückzuspringen - aber keine Sorge, das hat noch niemand beobachtet ;-))

Der aufmerksame Beobachter stellt fest, dass die Kugelsymmetrie der S-Verteilung recht schnell verschwindet: Es genügt schon eine kleine Beimischung (<< 1%) des D-Zustandes.

Das bedeutet auch, dass schon nach kurzer Zeit (ein paar Femtosekunden) die Ladungsverteilung im Atom ganz anders aussieht als beim S-P-Übergang. Ein Photon, das mit einem Dipolübergang in diesem Atom unterkommen will, hat keine Chance mehr! Natürlich kann man dies nicht mit Messungen, die über ein paar Millisekunden mitteln, nachweisen.

Die obigen 2D-Darstellungen zeigen nur einen Schnitt durch die Komplexität der Dynamik eines atomaren Übergangs. Wir können versuchen, eine Dimension weiterzukommen. Allerdings wird bei der 3D-Darstellung die Rechnung etwas aufwändiger, deshalb begnügen wir uns mit 20 Bildern.
Aber auch mit dieser geringen Auflösung sieht man recht deutlich wie schnell ein Atom, das sich auf den Weg zu einer Quadrupolverteilung gemacht hat, für ein "Dipolphoton" unsichtbar wird. Wobei hier nicht berücksichtigt wurden:
Spin, Feinstruktur, Hyperfeinstruktur, und andere QED-Effekte...

In other words:
Stellen Sie sich vor Sie wären ein Photon und hätten von der ewigen Raserei mit Lichtgeschwindigkeit genug. Wo unterkommen (ob Sie dabei endgültig Ihre Individualität verlieren, wollen wir hier nicht diskutieren)? Am besten nimmt man dafür ein naheliegendes Atom-Motel mit Kugelsymmetrie, denn dort kommt man immer und aus allen Richtungen unter. Wenn Sie allerdings ein Dipolphoton sind und zuvor ein Quadrupolgast auch nur leise angeklopft hat, haben Sie Pech gehabt, weil dann Ihr Schlüssel schlagartig nicht mehr passt. Dann können Sie nur noch aus der Ferne (etwa 300000km) zusehen wie sich das Quadrupolphoton gemütlich in seinem Bett ausbreitet.

Aktualisierung: In dem Anfang Juni 2019 veröffentlichten Artikel "To catch and reverse a quantum jump mid-flight",
https://www.nature.com/articles/s41586-019-1287-z
wird experimentell nachgewiesen, dass ein atomarer Übergang kontinuierlich und deterministisch abläuft (zumindest in einem künstlichen Atom).
Die theoretische Behandlung erfolgt mit "Quantentrajektorien" und führt im Endeffekt auf das gleiche Ergebnis wie im Logistischen Modell vorgeschlagen.

'Moderne Physik mit Maple'

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